GaWC Practitioner Brief 3

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Finanzplätze London und Frankfurt - Partner im Wettbewerb?

Kooperation und Rivalität im weltweiten Netz der global cities

M. Hoyler

London und Frankfurt sind als führende internationale Finanzplätze wichtige Kristallisationspunkte im weltweiten Netzwerk hochspezialisierter Dienstleistungsfirmen. Spätestens seit der Entscheidung für Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank taucht in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Bild von zwei erbitterten Kontrahenten auf, die um die Vorherrschaft im europäischen Finanzwesen ringen. Aber läßt sich das Verhältnis von London und Frankfurt auf den Aspekt der Konkurrenz reduzieren? Eine neue wirtschaftsgeographische Studie beleuchtet die vielfältigen Verflechtungen der Weltstädte an Themse und Main.


Die Vorherrschaft Londons im europäischen Finanzwesen ist gefährdet. So lautete manche Prognose, als in Frankfurt die Europäische Zentralbank errichtet wurde und die Währungsunion ohne britische Beteiligung ihren Lauf nahm. Mit dem Siegeszug von Deutscher Terminbörse bzw. Eurex und den Verhandlungen über einen Zusammenschluß von Deutscher Börse und London Stock Exchange galt eine Stärkung Frankfurts auf Kosten Londons als wahrscheinlich. Nun kehrt Ernüchterung ein: die jüngsten Mutmaßungen über Verlagerungen der Deutschen Bank nach London stellen den überschwenglichen Optimismus in Frage und deuten zugleich auf die enge Verknüpfung der beiden Finanzzentren hin.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie nimmt ein deutsch-britisches Forschungsteam die komplexen Beziehungen zwischen beiden Städten unter die Lupe und läßt wichtige Entscheidungsträger in Finanzwesen und verwandten Branchen zu Wort kommen (Kasten 1 und 2). Welcher Dynamik folgt das Verhältnis von London und Frankfurt? Wie artikulieren sich Machtbeziehungen zwischen den beiden Städten im weltumspannenden Netz von global cities? Und welche Schlußfolgerungen lassen sich daraus für Politik und Wirtschaft ziehen?

Globale Vernetzung

London und Frankfurt sind wichtige Knotenpunkte der Weltwirtschaft, sogenannte Weltstädte oder global cities, zu deren Merkmalen eine hohe Konzentration von Entscheidungs- und Kontrollfunktionen in Finanz- und anderen wissensintensiven Dienstleistungen zählt (Abb. 1). Die beiden global am besten vernetzten Standorte sind mit weitem Abstand vor allen anderen London und New York; Frankfurt nimmt als wichtigste deutsche global city aber ebenfalls einen oberen Rang ein und liegt weltweit auf Platz 14 (Tab. 1). Die unterschiedliche Einbindung in Personal-, Kommunikations- und Finanzströme weist jedem dieser Orte seinen spezifischen Platz im globalen Städtenetz zu: London als internationaler Weltstadt ersten Ranges, Frankfurt als Finanzplatz mit eher europäischer Ausrichtung.

Der Euro

Der Einführung des Euro schreiben die befragten Unternehmen einen nur geringen Einfluß auf die Positionierung beider Finanzplätze zu. Die Errichtung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt stärkt zwar das Image der Stadt, hat aber für die überwiegende Zahl der Unternehmen im Hinblick auf internationale Standortstrategien kaum praktische Relevanz. Entscheidend für die Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt in den letzten Jahren ist vielmehr die Bedeutung und zunehmende Deregulierung des deutschen Marktes, auf den immer mehr international tätige Dienstleistungsunternehmen drängen. Die Stellung Londons als führender Welt-Finanzplatz ist durch das Festhalten am britischen Pfund aus Sicht der interviewten Manager nicht gefährdet.

Räumliche Konzentration von Wissen

Informationen können heute mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnologien innerhalb von Sekunden weltweit verbreitet werden – Wissen, Kreativität, Erfahrung und Qualifikation bleiben aber an Personen und Organisationen gebunden und sind somit räumlich sehr viel stärker verankert. Der Zugang zu entscheidenden Informationen erfolgt trotz aller Digitalisierung meist face-to-face: "Sie brauchen immer diese persönlichen Kontakte und Gespräche – Sie müssen den Mann sehen, Sie müssen wissen, wie der reagiert", beschreibt ein Banker seine Erfahrungen, "das merken Sie nicht in Ihren Videokonferenzen, das merken Sie nicht in Ihrer Email".

Londons Stärken

Die herausragende Position Londons gründet sich ganz entscheidend auf den verfügbaren Wissenspool und die institutionelle Dichte in der City. Hier arbeiten über 600 000 Menschen im Finanzgewerbe, mehr als zehnmal so viele wie in Frankfurt. Neben der außergewöhnlichen Konzentration von Wissen und hochspezialisierten Netzwerken machen kulturelle Vielfalt und Toleranz sowie die Globalität der englischen Sprache die Stadt zum weltweit führenden Finanzplatz (Tab. 2). In London fühlen sich hochqualifizierte Nachwuchskräfte aus allen Ländern besonders wohl, bekundet ein Managing Director einer großen Bank, "weil sie sich relativ leicht verständigen können, weil sie ihren Hobbys am besten nachgehen können, weil es ganz generell eine offene, liberale Gesellschaft ist". Hinzu kommen handfeste Steuervorteile, allerdings auch hohe Lebenshaltungskosten und ständig drohender Verkehrsinfarkt.

Kooperation statt Wettbewerb

Die Stärkung eines Standorts muß aber nicht zwangsweise auf Kosten des anderen erfolgen, sie ist kein Nullsummenspiel. Ein Frankfurter Wirtschaftsanwalt bringt es auf den Punkt: "Sie müssen in London und in Frankfurt sein, weil das Hauptgeschäft in London und in Frankfurt stattfindet – und weil alle sagen, es findet in London und Frankfurt statt, ziehen auch alle nach London und Frankfurt". Beide Städte ergänzen sich in vielen Bereichen; der Erfolg Londons als Zentrum globaler Vernetzung kommt Frankfurt zugute, die wachsende Bedeutung Frankfurts als Tor zum deutschen und europäischen Markt stärkt auch London. Der Intensivierung von Verflechtungen zwischen beiden Städten sollte deshalb zumindest ebensoviel Aufmerksamkeit geschenkt werden wie dem immer wieder beschworenen Wettbewerb.


Kasten 1: Das Projekt

Grundlage der gemeinsamen Studie des Heidelberger Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeographie und des Geographischen Instituts der Universität von Loughborough bilden über 100 Interviews, die in den Jahren 2000 und 2001 parallel in London und Frankfurt mit hochrangigen Entscheidungsträgern in global agierenden unternehmensorientierten Dienstleistungsfirmen (Banken, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Unternehmensberatungen, Wirtschaftskanzleien und Werbeagenturen) sowie wichtigen Institutionen und Organisationen der Finanzwelt durchgeführt wurden. Das Projekt ist eingebunden in die Arbeit der Globalization and World Cities Study Group and Network (GaWC), einer internationalen Forschungsgruppe, die sich mit der Herausbildung und Entwicklung eines weltweiten Städtenetzes im Zeichen ökonomischer Globalisierung beschäftigt.

Forschungsbericht: Jonathan V. Beaverstock, Michael Hoyler, Kathryn Pain, Peter J. Taylor (2001): Comparing London and Frankfurt as World Cities: A Relational Study of Contemporary Urban Change. London: Anglo-German Foundation for the Study of Industrial Society. 51 S. ISBN 1 900834 28 6 £15.00


Kasten 2: Die Deutsch-Britische Stiftung: Eine bi-nationale Ideenwerkstatt

Seit bald 40 Jahren fördert die Deutsch-Britische Stiftung für das Studium der Industriegesellschaft den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Großbritannien in Form finanzieller Unterstützung von bi-nationalen Forschungsprojekten, Seminaren und Konferenzen. Sie setzt sich dabei besonders für den Erfahrungs- und Ideenaustausch in den Bereichen des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Know-hows ein.

Die Stiftung bewilligt Fördermittel im Wert von € 800.000 pro Jahr. Die Zuschüsse reichen von ein paar hundert Euro für kleinere Projekte bis hin zu mehr als € 80.000 für größere Konferenzen oder Forschungsunternehmen (s.a. Artikel "Finanzplätze London und Frankfurt – Partner im Wettbewerb?"). Dabei werden solche Anträge bevorzugt behandelt, die erkennen lassen, dass die Ergebnisse von praktischem Nutzen für Entscheidungsträger, Meinungsbildner oder Wissenschaftler sein könnten.

Weitere Informationen zu den Aktivitäten, Publikationen oder Fördermitteln
der Stiftung erhalten Sie unter

Anglo-German Foundation Deutsch-Britische Stiftung
17 Bloomsbury Square Jägerstraße 10/1
GB - London WC1A 2NH 10117 Berlin
s ph.: +44 20 7404 3137 Tel.: 030 2063 4985
info@agf.org.uk
http://www.agf.org.uk/.


Abbildung 1: Klassifikation führender Weltstädte 

Abbildung 1

Quelle: GaWC (http://www.lboro.ac.uk/gawc/)


Tabelle 1: Stark vernetzte Weltstädte*

1

London

2

New York

3

Hongkong

4

Paris

5

Tokio

6

Singapur

7

Chicago

8

Mailand

9

Los Angeles

10

Toronto

11

Madrid

12

Amsterdam

13

Sydney

14

Frankfurt

15

Brüssel

16

Sao Paulo

17

San Francisco

18

Mexiko-Stadt

19

Zürich

20

Taipeh

* gemessen am Grad der Vernetzung der Büros international agierender Dienstleistungsunternehmen

Quelle: GaWC


Tabelle 2: Stark vernetzte Finanzplätze*

1

London

2

New York

3

Tokio

4

Hongkong

5

Singapur

6

Paris

7

Frankfurt

8

Madrid

9

Jakarta

10

Chicago

11

Mailand

12

Sydney

13

Los Angeles

14

Mumbai

15

San Francisco

16

Sao Paulo

17

Taipeh

18

Schanghai

19

Brüssel

20

Seoul

* gemessen am Grad der Vernetzung der Büros international agierender Banken

Quelle: GaWC


Edited and posted on the web on 6th March 2002


Note: This Practitioner Brief has been published in Deutsche Horizonte, 12 (April-June 2002), 14-16